Buch des Monats September 2020
Donatella di Pietrantonio: Arminuta
Das Mädchen ist dreizehn, sensibel, intelligent und aufgeschlossen. Die fürsorglichen Eltern haben das Einzelkind wohlbehütet großgezogen und in allem gefördert. Die Familie wohnt in einem gepflegten kleinen Haus direkt am Strand. Eines Tages fährt ihr Vater – er ist Carabiniere – mit ihr hinauf zu einem Bergdorf in den Abruzzen und gibt sie dort samt Gepäck bei ihr fremden Leuten ab, die, so hat man ihr mitgeteilt, ihre leibliche Familie seien. Ihre Proteste stimmen den Vater nicht um, er lässt sie alleine zurück.
Dem Mädchen ist mit einem Mal der Boden unter den Füßen entzogen. Von einem Tag auf den anderen hat sie keine Mutter, keine Familie, kein Heim mehr und gleichzeitig zwei Mütter, zwei Familien, zwei Heime: „Mit zwei lebenden Müttern wurde ich zum
Waisenkind.“ Wohin gehört sie jetzt? Welche sind ihre Wurzeln? Zu wem kann sie noch Vertrauen fassen, wenn die eine Mutter sie schon als hilfloses Baby weggegeben, die andere sie aus der Geborgenheit ihres jungen Lebens herausreißen und zurückschicken konnte wie einen Gegenstand, dessen man überdrüssig ist? Woran kann sie sich klammern? An die Hoffnung, einmal zu ihrer Pflegefamilie zurückkehren zu dürfen?
Dies ist ein schlichter, stiller Roman, der in schmuckloser Alltagssprache einen einfachen Handlungsverlauf wiedergibt. Ihre Kraft gewinnt die Erzählung daraus, wie sie ihre Themen durchdringt, sie reißt mit und beschäftigt. Im Vordergrund steht die Suche nach der eigenen Identität, die bei der Erzählerin so abrupt und schmerzvoll ausgelöst wird.
Ein schöner Roman über ein starkes Mädchen, über Zerrissenheit und das Gefühl nirgendwohin zu gehören, und was das mit Menschen machen kann. Und gleichzeitig auch darüber was Stärke und ein Wille schaffen kann.
Münster, im September 2020 Angela Tieben