Buch des Monats Januar 2017
Polina Scherebzowa: Polinas Tagebuch
Polinas Tagebuch ist ein 2015 erstmals in Deutschland veröffentlichtes Buch der Schriftstellerin Polina Scherebzowa. Das Buch enthält Tagebucheinträge der Autorin, die sie während des Tschetschenienkriege verfasst hatte.
Inhalt:
Polina lebte in Grosny, Tschetschenien. 1994 beginnt sie mit ihrem Tagebuch, sie ist neun Jahre alt. Zwischen Zeilen über Nusstorten und Streitereien mit Freundinnen wundert sie sich über die Demonstrationen in der Stadt, die nervösen Gespräche der Erwachsenen, die tief fliegenden Flugzeuge. Unwissentlich beschreibt sie die Vorboten des Krieges, bis er schließlich da ist und Polinas Tagebuch zu einem Logbuch des Krieges wird: 1994 beginnt der erste Krieg und wütet zwei Jahre, 1999 begann der erste Krieg und wütet zwei Jahre, 1999 begann der Zweite Tschetschenienkrieg in Grosny im Nordkaukasus.
Polina Scherebzowa war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt und führte ihr Tagebuch fort. Während sie ihrer Mutter nach der Schule auf dem zentralen Markt in Grosny half, kam es zu einem Beschuss und sie wurde am Bein verwundet. Der Angriff auf den Markt fand am 21. Oktober 1999 statt und wurde dokumentiert. Auf Grund der Verletzung und Krankheit konnten Polina Scherebzowa und ihre Mutter trotz des Krieges Grosny nicht verlassen. Sie litten Hunger und wurden zusammen mit ihren Nachbarn aus ihren Wohnungen vertrieben.
Diese Kriege haben Grosny zerstört, 160.000 sind gestorben, viele davon, die Polina kannte und liebte. Sie, das heranwachsende Mädchen, beschloss, das Grauen zu bezeugen. Sie klammerte sich an die Aufgabe, eine Chronistin ihrer Zeit zu werden. Wenn sie sterben sollte, und damit rechnete sie jeden Tag, dann bliebe immerhin ihr Tagebuch, und die Welt würde erfahren, wie in der Stadt Grosny mit jedem Kriegsjahr die Menschlichkeit mehr und mehr verschwand. In dieser Situation wurde das Tagebuch für Polina Rettungsanker und Herausforderung zugleich. „Ich weiß nicht, wann der Tod kommt, und nur wenn ich schreibe, habe ich keine Angst. Ich glaube, ich tue etwas Wichtiges. Ich werde schreiben“, stellt sie am 10. August 1996 fest.
Polinas Tagebuch zeigt die Grauen eines Krieges auf und erinnert an die derzeitige schreckliche Situation in Syrien und in anderen Kriegsgebieten.
Münster, im Januar 2017 Angela Tieben
POLINA SCHEREBZOWA GEBOREN 1985 IN GROSNY (DAMALS UDSSR) FÜHRTE VON 1994 BIS ENDE 2002 DAS HIER VORLIEGENDE TAGEBUCH. ES WURDE IN MEHREREN SPRACHEN ÜBERSETZT. 2012 WURDE SIE DAFÜR MIT DEM ANDREI-SACHAROW-PREIS NORMIERT. POLINA SCHEREBZOWA LEBT HEUTE MIT IHRER FAMILIE IN FINNLAND, WO SIE POLITISCHES ASYL ERHIELT.
Buch des Monats November 2016
Adriana Altaras: Doitscha – Eine jüdische Mutter packt aus
Die Schauspielerin und Theaterregisseurin Adriana Altaras gibt auch ihrem zweiten Buch einen sehr persönlichen und doch zugleich verfremdeten Einblick in ihre Lebens- und Familienwelt, sozusagen eine Biographie mit vielen Eigenheiten und Fiktionen..
Der Autorin gelingt es ausgesprochen lebendig und kurzweilig zu schildern, wie es ihr als jüdische Frau in ihrer eigenen Familie, mit ihrer Herkunftsfamilie und auch mit ihrer Umwelt geht.
Sehr interessant ist ihre wechselhafte Perspektive, bei dem sie die Geschehnisse in der Familie mal aus der Sicht ihres Partners, ihrer Söhne, des Patenonkels ihres Sohnes oder auch aus der Perspektive ihrer Therapeutin erzählt, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf den älteren Sohn David und bei ihr selbst liegt.
Der episodenhafte Erzählstil ist meist ausgesprochen witzig, gleitet ab und zu ins Politische und entspricht so ganz und gar der Lebenswirklichkeit einer Mutter von Söhnen in der Pubertät.Nur kommen hier noch jüdische Eigenheiten hinzu, die es der „Frau im Haus“ besonders schwer machen. Denn der Vater der Söhne ist kein Jude, wird vom einen Sohnaös „Doitscha“ tituliert und will unbedingt nach Israel in die Armee…
Klassische Themen wie Holocaust, jüdische Frömmigkeit, der Israel-Palästinenser-Konflikt, der „9.November“ werden gut eingebettet in eine ausgesprochen dynamisch dargestellte Alltagswelt behandelt – nicht ohne den ein oder anderen jüdischen Witz mit einfließen zu lassen. Hierbei sind die Höhepunkte des „Familientheaterstücks“ die Rede in der Frankfurter Paulskirche zum 9. November, die Dastellung einer „Roadmovie“ nach Kroatien auf der Spur der Vorfahren, die in Jiddisch vorgetragene Grabrede oder auch ein ganz moderner „Israel-Trip“.
„Doitscha“ ist ein Lichtblick und Einblick ins jüdische Leben. Hier wird Toleranz und Pragmatismus gelebt und gezeigt, wie man mit Ernsthaftigkeit und Humor seine Positionen beziehen kann.
Adrianna Altaras macht neugierig auf Menschen, egal ob jüdisch oder sonst wie.
Münster, im November 2016 Angela Tieben