Buch des Monats Juli 2018
Betty Smith: Ein Baum wächst in Brooklyn
Die Autorin Betty Smith erzählt in ihrem erstmals 1952 auf Deutsch erschienenen New York-Roman die Geschichte der Nolans.
Hauptprotagonistin, an der der Roman immer ganz dicht dran bleibt, ist die zu Beginn elfjährige Francie Nolan. Es ist das Jahr 1912 in Williamsburg, Brooklyn, New York und das Mädchen lebt unter sehr ärmlichen Bedingungen zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Neeley, der pragmatischen, entschlossenen Mutter Katie und dem träumerischen, schwachen, dem Alkohol ergebenen, aber auch sehr liebevollen Vater Johnny in einem Mietshaus in diesem damals hauptsächlich von Iren, Juden und Deutschen bewohnten Viertel. Johnny stammt aus Irland, Katie von österreichischen Einwanderern ab. Die Familie muss von dem Wenigen leben, was die Mutter Katie mit Putzen – und ihre Kinder Francie und Neeley neben der Schule mit diversen Handlanger-Arbeiten verdienen. Denn der sympathische, aber unzuverlässige Vater Johnny Nolan, der als sogenannter „Singkellner“ in verschiedenen Brooklyner Kneipen arbeitet, versäuft das meiste dessen, was er bei seinen abendlichen Schichten verdient. Seine ganze Liebe gilt Francie, welcher er immer neu mit Worten den Traum von einem besseren Leben beschwört.
Die elfjährige Francie Nolan ist eine leidenschaftliche Leserin und eine genaue Beobachterin der menschlichen Natur – und sie hat einen Traum: Sie möchte Schriftstellerin werden. Ein Traum, der in dem bunten, ruppigen Williamsburg von 1912 kaum zu erfüllen ist. Hier brummen die Mietshäuser vor all den Zugewanderten, jeden Tag wird von dem hart verdienten Geld das Essen zusammengeklaubt, Doch wenn Francie auf der Feuertreppe in der Sonne sitzt und liest, kann sie sich keinen schöneren Ort vorstellen. Und wenn sie auch gegen so manche Widrigkeit anschreiben muss, trägt sie doch eines in sich: dass es sich immer lohnt, nach dem puren Leben zu streben.
Darüber hinaus liefert ihr Buch ein faszinierendes Hintergrundporträt des Lebens in Brooklyn zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Denn der 1943 für den Pulitzerpreis nominierte Roman zeigt ein plastisches Bild des Lebens in den Mietskasernen in Brooklyn oder Williamsburg, in denen das Getriebe niemals still zu stehen scheint – alles und jedes der neuen Zeit entgegen drängt.
„Ein Baum wächst in Brooklyn“ ist ein mit großer Erzählkraft geschildertes Gesellschafts- panorama der armen Schichten im New York des frühen 20. Jahrhunderts – und Smith hat ein überragendes Talent für die Darstellung von Charakteren, Details und Stimmungen dieses Milieus.
Münster, im Juli 2018 Angela Tieben